Exklusive Daten der Depot-Plattform Getquin legen das Anlageverhalten von 330.000 Deutschen offen. Auf welche Aktien und ETFs setzen sie? Was Anleger dort ablesen können.
Ben Mendelson 19.02.2025 – 09:23 Uhr
Düsseldorf. Deutsche Anleger, die auf den Kapitalmarkt setzen, haben im vergangenen Jahr ordentliche Renditen erzielt. Das ergibt eine Auswertung von Depots von 330.000 Nutzern der Plattform Getquin, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. Demnach lag der durchschnittliche Ertrag je nach Größe des Depots zwischen 24 und 30 Prozent.
Dabei verfolgen viele dieser Anleger unnötig riskante Strategien. Denn sie legen relativ viel ihres Geldes in einzelne Aktien an. Einen geringeren Anteil machen dagegen die oft breite Indizes nachbildenden, börsengehandelten ETFs aus.
Die Auswertung zeigt, auf welche Aktien und ETFs die Anleger setzen, welche strategischen Unterschiede es zwischen Besitzern großer und kleiner Depots gibt und welche Risiken ihre Anlagestrategien bergen. Daraus lassen sich grundsätzliche Tipps fürs Depot ableiten.
Grundlage für die Auswertung sind Daten der Plattform Getquin, die die Entwicklung der Depots von einer halben Million Nutzer permanent analysiert. Zwei Drittel von ihnen kommen aus Deutschland. Nach Aussage von Getquin-Gründer Raphael Steil sind die Nutzer in Deutschland im Schnitt zwischen 20 und 35 Jahre alt und zu etwa drei Viertel Männer.
Steil hat für die Auswertung die Depots der Größe nach in vier Gruppen unterteilt: bis 3000 Euro, 3000 bis 30.000 Euro, 30.000 bis 100.000 Euro und mehr als 100.000 Euro.
Hoher Anteil von Einzelaktien
Auffällig ist, wie viel Geld die Getquin-Nutzer in einzelne Aktien von Unternehmen investiert haben. Im Durchschnitt liegt der Anteil von Einzelaktien bei 55 Prozent des Anlagekapitals. Der ETF-Anteil beträgt im Mittel dagegen nur 37 Prozent.
Viele der analysierten Anleger halten Hunderte Einzelaktien im Depot, stellt Getquin-Gründer Steil fest. Interessant ist beim Blick auf die einzelnen Depotgruppen, dass in kleinen Depots die meisten Einzelaktien stecken. Doch auch in der Depotgruppe über 100.000 Euro haben Anleger mehr als die Hälfte ihres Geldes in Einzeltitel investiert.
Welche Aktien sind am beliebtesten?
Die deutschen Nutzer von Getquin investieren besonders gern in Tech-Unternehmen, viele davon aus den USA. Daher ist es nicht verwunderlich, dass US-Unternehmen häufig unter den 20 beliebtesten Einzelwerten auftauchen. Außerdem mögen diese Anleger deutsche Unternehmen. Unter allen Depotgruppen sind die drei US-Tech-Konzerne Nvidia, Apple und Microsoft die drei beliebtesten Einzelaktien.
Fehlende Diversifizierung kostet Rendite
Viele Anleger bevorzugen Aktien aus ihrem Heimatland. Das Phänomen wird „Home Bias“ genannt. Eine solche offenbar selektive Wahrnehmung zugunsten des heimischen Finanzmarkts erklärt hier, dass unter den 20 beliebtesten Einzelaktien der Anleger mit Allianz, SAP, BASF, Munich Re und Deutsche Telekom gleich fünf deutsche Unternehmen stehen. Siemens und Mercedes Benz befinden sich auf den folgenden fünf Plätzen.
Dass die Getquin-Anleger sowohl den heimischen Markt als auch den Tech-Sektor übergewichten, überrascht Andreas Hackethal nicht. Eigene Depotstudien des Finanzprofessors von der Goethe-Universität Frankfurt brachten ähnliche Ergebnisse: Die Anleger kauften viele Einzelaktien und überdurchschnittlich oft aus dem heimischen Markt. So versuchten sie, den Markt zu schlagen. Hackethal bemängelt die „schlechte Diversifikation“ der Getquin-Nutzer, und sagt: „So viele Einzelaktien zu haben, ist eine unnötig riskante Strategie.“
In Bezug auf den Tech-Sektor ist dieser Ansatz besonders problematisch: Denn in vielen ETFs sind die großen Technologie-Unternehmen ohnehin bereits enthalten – auch in den Fonds, die bei den Getquin-Anlegern am beliebtesten sind: Nachbildungen der Weltaktienindizes MSCI World und FTSE All World sowie des US-amerikanischen S&P 500. In den Top 10 befindet sich außerdem ein ETF, der auf Technologieunternehmen setzt. Insofern haben sich die Anleger über Einzelaktien und ETFs ein doppeltes Tech-Übergewicht eingekauft.
Von solchen Übergewichten raten Experten ab: Denn es stellt ein unnötiges Klumpenrisiko dar. Das Depot ist damit anfälliger für Verluste, als wenn das Kapital über Länder und Sektoren breit verteilt ist und schlechte Börsenphasen in einzelnen Bereichen durch andere ausgeglichen werden können.
Wer den Markt schlagen will, verliert drei Prozent pro Jahr
Experten halten grundsätzlich wenig von einer Strategie, die versucht, mit einzelnen Aktien mehr Rendite zu erzielen, als auf den breiten Markt zu setzen. „Einzelaktien zu kaufen, ist eine denkbar schlechte Wette“, warnt Niels Nauhauser, Kapitalmarktexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Wissenschaftler Hackethal bestätigt: Durchschnittlich ließen „Anleger drei Prozent Rendite pro Jahr liegen, wenn sie versuchen, mit bestimmten Strategien den Markt zu schlagen. Der Forscher hat berechnet: Auf Einzelaktien zu setzen, sei „doppelt oder dreifach so riskant“ wie eine Anlage in den MSCI World.
So war die Rendite auch der größten Getquin-Depots selbst im guten letzten Jahr nur 0,5 Prozentpunkte höher als der breite US-Index S&P 500.
Viele Anleger wollen schnell Geld machen
Für Hackethal gibt es daher keine rationalen Gründe für eine Einzelaktienstrategie. Warum legen viele Menschen dennoch so an? Hackethal meint: „Sie wollen einen Kick spüren. Sie überschätzen sich selbst. Und sie wollen möglichst schnell Geld machen.“ All das treffe besonders auf jüngere und männliche Anleger zu.
Vielen Anlegern ist eine breite Aktienstrategie wie mit dem MSCI World schlicht „zu langweilig“, ist die Erkenntnis des Wissenschaftlers. Solche Anleger wollten 20, 30 Prozent Rendite erzielen, pro Jahr – um schnell auf einen griffigen Depotwert wie 100.000 Euro zu kommen.
